Angst
“Angst essen Seele auf“ - Angstpatienten fühlen sich
beim Zitieren dieses Filmtitels von Rainer Werner Fassbinder oft gut verstanden.
Ängste gehören zur häufigsten Gruppe psychischer Störungen, wobei
der Anteil von Frauen unter den Patienten überwiegt. Angst tritt oft
kombiniert mit einer Depression oder einem Suchtverhalten auf.
Symptome
In der Sprechstunde berichten Betroffene zum Beispiel von zugeschnürtem Hals,
dem Druck über der Brust und der Unfähigkeit, durchatmen zu können,
von Herzjagen, Muskelverspannungen, Zittern, Stuhl- und Harndrang.
Einem Mann wurde durch die eigene Erfahrung, des Gefühls eines
eingeschnürten Brustkorbs
deutlich, dass Angst von altdeutsch “Enge“ herrührt und sich durch
sein permanentes Meidungsverhalten sein eigener Lebensradius immer mehr eingeengt
wird.
Viele meiner Patienten steckten voller Angst, dies in verschiedenen Formen und
Gesichtern. Die Angst begleitete sie oft bereits seit der Kindheit
und prägte sich mit zunehmender Entwicklung weiter aus,
so dass die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität erheblich
beeinträchtigt wurden.
Bei Anderen wiederum hatte sich die Angst erst mit einer
körperlichen Krankheit entwickelt, als die Kontrolle über den eigenen Körper
verloren ging, “der nun nicht mehr so
funktionierte“ und “als mein ganzes Lebenskonzept ins Rutschen kam“.
In der Praxis höre ich oft von Versagensangst, Trennungs- oder Verlustangst, Angst vor
Krankheiten, Existenzangst, Prüfungsangst, Zukunftsangst, Angst vor
Einsamkeit, Todesangst.
Manche Ängste führen mittel- und langfristig zu körperlichen Störungen
(somatoform), zu Depressionen, zum Medikamenten-, Drogen- und/oder
Alkoholmissbrauch.
Angstformen
Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard unterschied bereits im 19. Jahrhundert die
Angst als einen Zustand, bei dem man sich unklar bedroht fühlt,
ohne zu wissen, wo dieses vage unbehagliche oder bedrohliche Gefühl
herrührt, von der Phobie, der Furcht vor konkreten Sachverhalten,
Orten oder Menschen.
Die "Internationale Klassifikation psychischer Störungen" unterteilt die Ängste
in:
- Paniksyndrom: plötzliche Angstattacken
- Generalisiertes Angstsyndrom: chronisch erhöhte Angst
- Agoraphobie: Vermeidung einer Vielzahl von Situationen
(Kaufhäuser, Autofahren, Menschenmengen, Fahrstühle,
geschlossene Räume) aus Furcht vor Angstattacken
- Soziale Phobien: Angst vor zwischenmenschlichen Situationen
- Spezifische Phobie: Angst vor klar umrissenen spezifischen
Situationen oder Objekten (Tiere, Höhe, Flugreisen, Blut)
- Zwangssyndrome: Zwang, eine bestimmte Handlung vorzunehmen
mit den wesentlichen Unterformen Zwangsgedanken und
Zwangshandlungen (zum Beispiel Waschzwang aus Furcht vor
Keimen)
Verursachung
Angst kann grundsätzlich angeboren oder erworben/erlernt sein. An der
Entstehung sind meist viele Bedingungen beteiligt, wie angeborene
Dispositionen, spezifische Auslöser, die mitunter das
sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen, oder aufrechterhaltende
Faktoren, wie zum Beispiel die Angst vor der Angst. Bei allen
Angststörungen können belastende Lebensereignisse, Stress und
Überforderungen, kurz- und langfristiger Art, eine entscheidende
Rolle spielen. Zahlreiche Angstformen treten familiär gehäuft auf.
Angst
Angst tritt weltweit und bei Menschen aller Kulturen in unsicheren und
risikoreichen Situationen als primäre Emotion auf. Mit gesteigerter
Hintergrund-Aktivität mobilisiert sie den gesamten Organismus und
ermöglicht so eine grundsätzliche Bewältigung bedrohlicher
Situationen.
Angst signalisiert also zunächst eine Gefahr und hilft dann, diese zu
überwinden. Im Normalfall klingt danach der Anspannungszustand, der
eine besondere Qualität des Stressmechanismus darstellt, wieder ab.
Krankhafte Angst
Wenn Angst zur Krankheit wird, dann hält diese Spannung oft sehr lange
an, mitunter auch über Jahre und Jahrzehnte und zermürbt letztlich den
Organismus.
Zur Krankheit ist eine Angst geworden, wenn
- sie den Menschen beherrscht
- nicht mehr kontrollierbar und steuerbar ist
- durch Dauer und Intensität den Tagesablauf bestimmt
- zu Lebens- und Handlungseinschränkungen führt
- Meidungsverhalten auftritt (zum Beispiel von Menschen,
Aufgaben, Örtlichkeiten)
- Erwartungsängste und die Angst vor der Angst dominieren.
Diagnostik
Angststörungen verbergen sich häufig hinter körperlichen Symptomen. Dies
erklärt u.a., weshalb manche Angststörung erst so spät erkannt wird.
Da Angst auch körperlich verursacht sein kann (z.B. durch eine
Überfunktion der Schilddrüse), müssen bei Ängsten immer somatische
Ursachen ausgeschlossen werden.
Die Angst lässt sich erfassen über die Selbstbeschreibung des Betroffenen und
dessen Beobachtung. Die Messung physiologischer Erregung, zum
Beispiel mit einem Polyphysiographen und auch mit Hilfe diverser Fragebögen
erhobene Ergebnisse können weitere Erkenntnisse erbringen.
Therapie
Die Behandlung ist vielschichtig und abhängig von der speziellen Angststörung.
Bei den umschriebenen Angstformen hat sich besonders eine
Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie, Atemtechniken,
Entspannungsmethoden oder auch die Konfrontation mit der
angstauslösenden Situation bewährt. Oft können sich Patienten erst
nach einer anfänglichen Behandlung mit Psychopharmaka ihrer Angst
stellen, dabei gilt: Die Pharmaka sollen als Brücke dienen und dürfen niemals zur Krücke werden!
Bei tiefer liegenden Störungen kommen eher die dynamische Psychotherapie oder
die Psychoanalyse zum Einsatz.
Betroffene müssen lernen, ihre Ängste zu verstehen, sich diesen zu stellen,
diese auszuhalten, den Angstkreis zu durchbrechen, die Angst vor der
Angst abzubauen und insgesamt wieder Kontrolle über ihre Angst zu
gewinnen.